Zur zweiten Auflage des “Entwurfs einer architektonischen Gebäudelehre”
Andreas Lechner 

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︎︎︎Review von C. McEwan: “Peripheral monuments

1 | ‚Thinking Design – Blueprint for an Architecture‘ – die englische Buchversion liegt auf der zweiten, überarbeiteten Auflage des Buchs ‚Entwurf einer architektonischen Gebäudelehre‘ die beide 2021 erschienen.































2 | Doppelseite des deutschen Inhaltsverzeichnis. 










3 | Grundrisse der 144 Projekte in zwölf Nutzungszusammenhängen bei gleichem Maßstab






































4 | Ausgewählte Doppelseiten des Buches inklusive Covers. Die von CH Studio gestaltete 2018 erschienen deutsche Erstauflage wurde als eines der schönsten Bücher Österreichs und mit der Goldmedaille im Wettbewerb ‚Schönste Bücher aus aller Welt‘ 2020 ausgezeichnet.


























































5 | Ein doppelseitiges Tableau mit Grundrissen der zwölf Projekte leitet die jede der zwölf Typologien bei gleichem Maßstab und mit einer Liste an Gebäudetypen sowie kultur- und planungsgeschichtlichen Literaturhinweisen ein – im Bild ist ‚Einzelhandel‘ / ‚Retail‘ zu sehen.

























6 | Grundriss und Schnitt aller Projekte im ersten Kapitel ‚Tektonik‘: ‚Theater‘, ‚Museum‘, ‚Bibliothek‘, ‚Staat‘

7 | Grundriss und Schnitt aller Projekte im Kapitel ‚Typus‘: ‚Büro‘, ‚Freizeit‘, ‚Religion‘, ‚Einzelhandel‘

8 | Grundrisse und Schnitte der Projekte im Kapitel ‚Tektonik‘– ‚Fabrik‘, ‚Bildung‘, ‚Kontrolle‘, ‚Krankenhaus‘

































9 | Das Buch-Cover weist auf die Entwurfs- und Typusdiskussionen hin: 1. Den grundsätzlich bastelnden Charakter aller Entwurfshandlungen illustriert ein Film-Still aus Georges Méliès‘ ‚Die Reise zum Mond‘ von 1902. Das Bild zeigt die Landung der Raumkapsel im rechten Auge des Mannes im Mond und zugleich einen anthropomorphen Betrachter der Erde im Zeitalter des Anthropozäns. 2. Mit der karibischen Hütte illustriert Gottfried Semper seine Theorie zum anthropologischen Ursprung der Architektur: Vier Elemente der Baukunst, die er als Ur-Typen – Dach, Wand, Boden und Feuerstelle – in seiner Stoffwechseltheorie in ein naturwissenschaftliches Modell der Hybridisierung der Kunsthandwerke überträgt. 3. Die Lehre von den Gebäudetypen als Bauaufgabe, die sich aus dem sozialen Status und der politischen Rolle des Bauherren begründet, findet sich – vom Kirchenbau und Palast bis hin zu Gefängnis und Tierstall – in der Inhaltsangabe von Nikolaus Goldmann und Leonhard Christoph Sturms ‚Vollständige Anweisung zu der Civil-Baukunst‘ (1699). 4. Le Corbusiers perspektivische  Darstellung des Prototyps der Maison Dom-Ino (1914) präsentiert den Archetyp der meisten Bauten im 20. Jahrhundert. 5. Die allegorische Darstellung der Urhütte in Marc-Antoine Laugiers ‚Essai sur l'Architecture‘ von 1755 stellt den Launen des Rokokos einen sowohl klassizistischen als auch der Natur verpflichteten Archetypen entgegen.




10 | Doppelseite mit Aldo Rossis ‚Teatro del Mondo‘





11 | Das ‚Counterintuitive Typologies‘ betitelte Heft mit Auszügen aus zwölf vielfach ausgezeichneten Masterarbeiten ist den 2021 erschienen Ausgaben des Buchs beigelegt und soll eine grundsätzlich offene, inhaltlich und formal anspruchsvolle Architekturentwurfs- und Lehrhaltung illustrieren.















12 | Doppelseite mit Auszug aus Alexander Gebetsroithers Abschlussarbeit ‚I-710/I-105‘ die 2017 mit dem Archiprix Hunter Douglas Award als ‚World’s Best Architecture Thesis‘ ausgezeichnet wurde.
Architekturentwürfe sind hybride Produkte, die sich zwischen der ‚Produktion von Zeichen‘ und der ‚Produktion von Ereignissen‘ bewegen. Sie sind Mediationen – sowohl technischer als auch sozialer und kultureller Natur. Dieses Spannungsverhältnis begründet ihren grundsätzlich relationalen Charakter und hält sie als ‚Produkte‘, unter heutigen Globalisierungs- und digitalisierungsbedingten Dynamiken, in einer Kultur der Querverweise in Bewegung. Ob in mehr oder weniger reflexiven Entwurfshandlungen – die Hybridität von Entwürfen resultiert aus diesem ‚Dazwischen‘ fortlaufender Referenzierung und Transformierung von architekturbezogenem Wissen, das aber disziplinäre Grenzen und Zuständigkeiten, Kompetenzen und intellektuelles Eigentum fortlaufend verschwimmen lässt. Eine prominente kulturtheoretische Charakterisierung künstlerisch-gestalterischer Produktionsweisen lautete Ende der Neunzigerjahre entsprechend: „Hybrid ist alles, was sich einer Vermischung von Traditionslinien oder Signifikantenketten verdankt, was unterschiedliche Diskurse und Technologien verknüpft, was durch Techniken der ‚collage‘, des ‚samplings‘, des Bastelns zustande gekommen ist.“[i] In der folgenden Beschreibung meines Buches ‚Entwurf einer architektonischen Gebäudelehre‘ verdeutliche ich diese Hybridität als grundsätzliche Charakteristik von Entwurfshandlungen. Als Produkt aus und für die Entwurfslehre liefert das Buch eine bewusste Reibefläche, die der heute als Medieninhalte global fluktuierenden Architekturproduktion einen auf Zeichnung und Text reduzierten Dialog aus Formen und Funktionen anbietet, der fortlaufend für erneut ortsgebundene Einsätze weiterverarbeitet oder wiederangeeignet werden kann.

Allgemeines und Besonderes

Das Buch unternimmt eine nähere Bestimmung des Hybriden, indem es eine Aktualisierung architekturtypologischer Fragestellungen bzw. des klassischen ‚Typus‘ als analytisches und generatives Werkzeug zur Strukturierung und Artikulation architektonischen Wissens vorschlägt. Dafür greift es, ebenso wie Entwurfshandlungen, auf unterschiedliche Art und Weise auf das kollektive Wissen der Architektur zu. Diese Zugriffe sind Wissens- und Transformationsprozesse die im Buch allerdings sowohl inhaltlich als auch grafisch ‚kontraintuitiv‘ verknüpft werden. Als ‚Produkt‘ aus Entwurfshandlungen stellt das Buch inhaltlich weder direkte Entwurfsergebnisse vor, noch befasst es sich näher mit den industriekompatiblen Grundlagen modernen Bauens als aktualisierte Gebäudelehre. Grafisch liefert die Publikation eine Gliederung in zwei Teile, die unabhängig voneinander gelesen oder betrachtet werden können (Abb. 2). Der eine Teil umfasst drei kapitelbildende Aufsätze – ‚Tektonik‘, ‚Typus‘ und ‚Topos‘. Der andere besteht aus Zeichnungen von 144 Architekturprojekten in Grundriss, Schnitt und Ansicht mit kurzen Erläuterungstexten. Die Kapiteltexte und die ihnen zugeordneten Projekte sind aber nur lose aufeinander bezogen. Weder die drei unnummerierten Kapitel noch die ebenso unnummerierten zwölf Nutzungszusammenhänge ‚Theater‘, ‚Museum‘, ‚Bibliothek‘, ‚Staat‘, ‚Büro‘, ‚Freizeit‘, ‚Religion‘, ‚Einzelhandel‘, ‚Fabrik‘, ‚Bildung‘, ‚Kontrolle‘ und ‚Krankenhaus‘ folgen über ihre chronologische Sortierung hinaus einer spezifischen Reihenfolge. Die Zeichnungen von 144 Gebäuden, von der Antike bis zum 21. Jahrhundert, stehen so in einem positionsbedingten Dialog, der je viermal die drei Kapiteltexte unterbricht und so ein hybrides, stadtähnliches Nebeneinander – sowohl als diachrone Gruppierung von 144 Projekten als auch als Gegenüber von Projekten und Texten – produziert (Abb. 3). Dieses Nebeneinander in der Gestaltung des Buches liefert somit einen deutlichen Hinweis auf immer positions- und ortsgebundene, kulturelle und gesellschaftliche Aspekte, auf die Entwürfe mittels Mimesis oder einer Metaphorisierung der Architektur als letztlich unhintergehbare Ebene des Denkens zurückgreifen.[ii] Text- und Zeichnungsteilen ist daher gemeinsam, dass sie als hybrides Produkt  die Form als Kern der Gestaltungsdisziplin Architektur und ihrer Funktion als Bühne und Hintergrund menschlichen Zusammenlebens betonen – sowohl inhaltlich als auch durch die Konstellation dieser Inhalte – dabei aber trotzdem für Zugriffe ‚offen‘ bleiben. Denn neben der Analogie eines topologischen Entwurfsaspekts in der Buchform selbst soll mit dem Formenfundus aus zwölf Projekten in zwölf Funktionszusammenhängen und in den drei Kapiteln das Spannungsfeld aus ‚Allgemeinem‘ und ‚Besonderem‘ im Vordergrund bleiben, wie es im Gebäudeentwurf – als konventioneller Ebene architektonischer und professioneller Zuständigkeit – und in den seit 2013 jährlich gehaltenen Gebäudelehre-Vorlesungen zu öffentlichen Nutzungszusammenhängen des Autors tragend wird. Der für die Projekte im Buch gewählte Darstellungsfokus blendet technische Details ebenso wie historische oder lokale Besonderheiten bewusst aus, obwohl diese Ebenen der Materialisierung und des Ortstypischen natürlich wesentliche Aspekte architektonischer Qualitäten bzw. Dialoge darstellen. Dadurch wird aber eine Art umgekehrte Aufmerksamkeit ermöglicht. Worauf sich Auswahl und Darstellung konzentrieren, lässt das ‚Allgemeine‘ der physischen Körper der Architektur – dass sie singulär, d.h. gebaut und ortsgebunden sind – mit jenem besonderen Umstand in den Vordergrund treten, dass sie das durch Wiederholung erreichen. Sowohl die Elemente und Bauteile Wände, Decken, Dächer, Stützen, Stiegen, Fenster und Türen etc. als auch die räumlichen Relationen, die sie zur Organisation verschiedener Nutzungszusammenhänge einsetzt Korridore, Atrien, Loggien, Enfiladen, Hallen, Türme, Hofhäuser usw.werden immer wieder neu verwendet, indem sie zugleich wiederholt werden. Aus diesem Spannungsfeld, zwischen Originalität und Wiederholung, bezieht das Entwerfen seine gestalterische Kraft – das Buch untermauert das durch sein Panorama architektonischer, d.h. gestalterisch vielschichtiger und dennoch intentional verknüpfter Formen und Nutzungszusammenhänge (Abb. 4). Für die Projektauswahl stand die Absicht exemplarische Werke der Architektur- und Baugeschichte für  die Entwurfsarbeit informativ und inspirativ zugänglich zu machen im Vordergrund, wofür ich auf Nikolaus Pevsners historische Gebäudelehre in ‚A History of Building Types‘ (dt. ‚Funktion und Form‘), Kenneth Framptons bewährte ‚Architekturgeschichte der Moderne‘ und die umfangreiche, 2012 erschienene Studie des französischen Architekten und Historikers Jacques Lucan, ‚Composition, non-composition: architecture et théories, XIXe–XXe siécles‘ (engl. ‚Composition, Non-Composition: Architecture and Theory in the Nineteenth and Twentieth Centure’) als zentrale Grundlagen zurückgriff.[iii] Natürlich kann das kollektive Wissen über Architektur ebensowenig auf die hier vornehmlich westliche Architekturgeschichte beschränkt werden, wie dabei ‚vernacular‘ oder anonyme Architektur einfach ausgespart werden darf. Mit der letztlich getroffenen Auswahl geht es mir nicht darum, den dringlich aufzusprengenden weiß-männlich-westlichen Architekturkanon auch noch ins 21. Jahrhundert hinein fortzuschreiben, sondern um entwerferischen Zugriff und produktive Weiterentwicklung dieses ebenso umfangreich wie kritisch vorhandenen Wissens für die Entwurfslehre und Architekturproduktion. Eine solche Auswahl ist daher notwendigerweise fragmentarisch und exemplarisch und im Zeitgenössischen auch stärker subjektiv und biografisch motiviert und entsprechend beeinspruchbar.

Vergleichende Betrachtung

Fotos der gezeichneten Projekte sind für das zentrale Argument des Buches unbedeutend – nicht nur weil eine Millisekunden-Recherche ausreicht, um tausende mehr oder weniger geschönte Bilder zu jedem der Projekte zu liefern, die einen eigenen Besuch vor Ort dennoch nie ersetzen können, sondern weil dieser Teil des Buchs bewusst auf die abstrakte Systematisierungsleistung der kodifizierten Architekturdarstellung vertraut, da nur diese den Schlüssel zu typologischem Wissen in der Architektur bereitstellt. Denn für die Disziplin Architektur sind Zeichnungen nicht nur als Notationsform von Ideen typisch. Architekturzeichnungen besitzen über diese generelle Funktion der Zeichnung hinaus zudem noch das Potential, architektonisches Wissen zu speichern und übertragbar zu machen. Meine These lautet daher, dass dieses Wissen der Architektur keineswegs nur in den Zeichnungen abgebildet wird, sondern sich erst reflexiv, d.h. aus dem Wechselspiel zwischen kodifizierter Architekturdarstellung und entwurfsrelevanter Recherche – hier mit den Kapiteln ‚Tektonik‘, ‚Typus‘ und ‚Topos‘ umrissen – bildet. Für ein solcherart reflexiv verstandenes Entwerfen und Nachdenken möchte die Publikation Reibeflächen und Recherchehinweise anbieten und dreht dafür, ähnlich wie Giulio Camillos  Gedächtnistheater, die Bühnenfunktion um und liefert so Tableaus zur vergleichenden Betrachtung (Abb. 5). Allerdings sind diese gezeichneten Kompositionen aus baulichen Elementen und räumlichen Relationen relativ offen und vieldeutig. Sie entziehen sich einer eindeutigen, d.h. modernen ‚Gebäudelehre‘, gerade weil ihre funktionale Gruppierung und Zuordnung nicht zwingend ist. Jede der 12 funktionalen Zuordnungen entspricht sozialen und damit sprachlichen Konventionen, die grundsätzlich veränderlich sind. Einige der 144 Projekte sind auch tatsächlich Umnutzungen und könnten daher in der Ordnungslogik der maßstabsgleichen Tableaus zu Beginn der zwölf Gebäudegruppierungen, verschoben werden – von Krankenhaus zu Bildung, von Fabrik zu Museum etc. Arbiträr ist das ihnen inhärente Verhältnis von Form und Funktion deswegen aber keineswegs, es ist vielmehr uneindeutig, obwohl sich viele typische räumliche Konfigurationen in bestimmten Nutzungszusammenhängen sehr verlässlich wiederholen - denkt man etwa an den hier nicht thematisierten Fachbereich Wohnungsbau.

Die scheinbar konventionelle Versammlung von 12 Bautypen wird durch die Gruppierungen ‚Staat‘, ‚Freizeit‘ und ‚Kontrolle‘ unscharf. Nicht nur versammeln diese Gruppierungen selbst eine Vielzahl völlig unterschiedlicher Bautypen, sondern sie verdeutlichen zugleich abstraktere, politische Prinzipien, die allgemeiner als etablierte Konventionen baulicher Vergesellschaftungsformen sind. Obwohl ‚Staat‘ hier nicht als Oberklasse für die Repräsentationsbauten in den Rubriken ‚Theater‘, ‚Museum‘ und ‚Bibliothek‘ verwendet wird, liegt der bauliche Zusammenhang der Monumentalbauten mit der Nationenbildung im 19. Jahrhundert natürlich nahe (Abb. 6). Obwohl im zweiten Kapitel ‚Freizeit‘ nicht als Reproduktionsverpflichtung oder als Antithese zu den mehr und weniger freiwilligen Verpflichtungszusammenhängen – ‚Büro‘, ‚Religion‘ und ‚Einzelhandel‘ – dialektisch festgelegt wird, legt die Spätmoderne ein so gegenüberliegendes Nebeneinander mit allen seinen Widersprüchen nahe (Abb. 7).

Spätestens mit ‚Kontrolle‘, bei den letzten vier Typologien, wird deutlich, dass die Disziplin der Architektur ebenso wie ihr zentrales Element – die Mauer – einen hochgradig ambivalenten Mechanismus darstellt – räumliche Repression auf der einen und mehr oder weniger erzwungene oder freiwillige Unterwerfung auf der anderen Seite – diese Gratwanderungen zwischen kritischer Distanz und offensiver Kollaboration hat kaum jemand prominenter in gebaute, gedachte und geschriebene Szenen gesetzt als Rem Koolhaas, etwa 1972 mit seiner auf einer Studie zur Berliner Mauer beruhenden Arbeit ‚Exodus, or the voluntary prisoners of architecture‘, im Umbauentwurf eines als solches nie funktionierenden Panoptikon-Gefängnisses, zu dem er 1980 anmerkt, dass „[c]hanges in regime and ideology are more powerful than the most radical architecture – a conclusion both alarming and reassuring for the architect“[iv] und natürlich mit dem schlechthin ‚post-kritischen‘ Architekturtypus des Wolkenkratzers als surrealistischen Stapel von Funktionen, die weder intern einen notwendigen Zusammenhang aufweisen, noch über die Fassade architektonisch-moralisch angemessen Auskunft geben. Koolhaas’ Arbeiten kommen auch im Zeichnungsteil dieses Buches mit Abstand am häufigsten vor, da sein Büro vielfach an den gebäudetypologisch radikalen Infragestellungen der modernen Architektur weiterarbeitete. Was die drei gebäudetypologisch völlig unscharfen Kategorien ‚Staat‘, ‚Freizeit‘ und ‚Kontrolle‘ hier leisten sollen, ist nur deutlich auf diese grundsätzlich soziale Ebene, d.h. auf die immer gesellschaftspolitischen Dimensionen räumlich-baulicher Zusammenhänge hinzuweisen, als es die vielleicht vertrauteren, konventionellen und mitunter verstaubten Bautypen tun (Abb. 8).

Typen und Typologien

Das Austesten innerer und äußerer Möglichkeitsformen und räumlicher Relationen wird im ersten Kapitel als Quintessenz architektonischen Entwurfsarbeit beschrieben und in der ‚Tektonik‘ des Buchs zu einer Sammlung an typischen Mustern zur Raumbildung gefügt, die sich zur vergleichenden Betrachtung, zur Inspiration von Eigenerecherche oder als Grundlage für transformative Bearbeitungen in neue und erneute Vorschläge für konkrete, gemeinschaftliche Orte anbieten.
Angelehnt an Anthony Vidlers bekannter Unterscheidung architektonischer Typus-Verständnisse, verfolgt das zweite Kapitel – ‚Typus‘ – das idealistische Typusverständnis der Aufklärung im Übergang zu den technisch-pragmatischen Zugängen einer sich formierenden modernen Industrie- und Massengesellschaft. Entsprechend nimmt auch das Ausnahmewerk von Jean-Nicholas-Louis Durands hier eine prominente Rolle ein, weil es als umfassendes Architekturlehrgebäude illustriert, wie Technik und Moral, wirtschaftlicher Hausverstand und gesellschaftliche Rangbemessung in allen architekturrelevanten Maßstabs- und Betriebsebenen als modern-nachhaltiges Staats- und Gesellschaftsverständnis formuliert werden konnte – von einem globalen Atlas der Baugeschichte über die Elemente, Bauteile und Gebäudetypen bis hin zu Musterentwürfen für alle notwendigen öffentlich-baulichen Zusammenhänge. Hier lässt sich aber bereits die Kritik am normativen Verständnis von Gebäudetypologien bzw. am ‚naiven‘ Funktionalismus ansetzen, wie sie etwa Georges Teyssot als allmähliche Umwandlung der klassischen ‚Typentheorie‘ in ein modernes ‚typologisches‘ Denken beschreibt. [v] Der klassische Begriff des ‚Typus‘ verweist auf eine Ur-Genese in der Architektur, die Prinzipien der antiken Form fortlaufend wiederholte. Auf diese Verkörperung von Idealen in der architektonischen Form verwiesen – durch Natur und Zeit hindurch – klassische Prinzipien und Regeln, die einem Gebäude wiedererkennbar Autorität verliehen (Abb. 9 bzw. 9.5). Diese körperliche und verkörperlichte Erinnerungsfähigkeit architektonischer Form steht im Gegensatz zur modernen ‚Typologie‘, deren Morphogenese zu einer entkörperlichten Abstraktion – simple Berechnung und Gesetze der Evolution – führte. Mit den modernen ‚Typologien‘ ging die Abschaffung der Mimesis, die Institutionalisierung der Norm, die Wiederholung des Gleichen und die Verpflichtung auf ‚Neues‘ einher (Abb. 9 bzw. 9.4).

Im dritten Kapitel, ‚Topos‘, gehe ich der postfunktionalistischen bzw. urbanistisch-atmosphärischen Kritik an den mit der Moderne semantisch entleerten ‚Typologien‘ mit u.a. Aldo Rossis und Robert Venturis 1966 erschienenen Klassikern postmoderner Architekturtheorie nach. Was diese mit ihrer Forderung nach einem komplexeren Verständnis von Architektur und Städtebau etablierten, war die Einsicht, dass es keine Alternative zu den provisorischen, nie abschließend klärbaren Herstellungsverfahren der Architektur gibt. Diese zentrale Einsicht verdeutlichte nicht nur für das Entwerfen, dass es hybride Produkte herstellt, sondern bildet auch das zentrale Argument für eine disziplinär anspruchsvolle Lehre im ‚Entwurf einer architektonischen Gebäudelehre‘: Architektonisches Entwerfen ist sowohl konservativ, weil es immer wieder auf Lösungen zurückgreift, die sich in langen Prozessen stillschweigenden Austestens bewährt haben, als auch kreativ, weil es diese Lösungen an den ständigen Wandel von Bedingungen anpassen muss. Diese Spannung aus Wiederholung und Originalität verdeutlicht, wie Geschichte als selektiver und subjektiver Zugriff seit jeher in den Architekturentwurf einfließen muss, nämlich als Auseinandersetzung des ‚Entwurfspersonals‘ mit Werken der Architektur, die sich weder auf ‚kanonische‘ oder persönlich auserkorene Meisterwerke noch auf empirische Messungen oder Alltagsbeobachtungen beschränken lassen muss. Auch wenn Dogmen, Heldenverehrung und Normativitäten den Zeitaufwand für die Entwurfs- und Lehrarbeit deutlich verringern helfen, so bleibt es für die Qualität eines Entwurfs letztlich aber einerlei, wie gestalterische Zweifel beseitigt wurden, da jedenfalls gilt: „Bricolage ist keine Alternative zur Architektur. Sie ist in allen Entwürfen, in jeder Gestaltung vorhanden.“[vi]


Weiter-Entwerfen

Als ein praktisch, theoretisch, künstlerisch und technologisch vielschichtig verwobenes Spannungsfeld stellt die Architekturproduktion keine verbindlichen Voraussetzungen bereit. Diese Spannung aus Objektivem und Subjektivem versucht auch das Buch nicht aufzulösen. Als Sammlung von Vignetten zu gestalterischen Bandbreiten öffentlicher Bauten betont es diese vielmehr, wenn es das ‚Zusammenlesen‘ von Projekten und Texten empfiehlt. In der 2021 erschienenen englischen Erstausgabe und der überarbeiteten deutschen Zweitauflage ist dem Buch ein Heft mit Auszügen von zwölf von mir betreuten Masterarbeiten beigelegt. Wie die 144 Projekte im Buch, zeigen die Arbeiten als Linienzeichnungen – auf eine Doppelseite mit Kurztext komprimiert aber flankiert von einer Übersicht mit je einem signifikanten Außen- bzw. einem Innenraumbild – wie Räume einer organisierten Öffentlichkeit kritisch weitergedacht werden können (Abb. 11). Sie bauen an vorhandenen Bauten und Infrastrukturen, an Produkten der Immobilienwirtschaft und an Verstädterungslandschaften zukunftsfähiger, gesellschaftlich und ökologisch verantwortungsvoller und ästhetisch anspruchsvoller weiter: Indem sie Formen und Funktionen sowohl technischer als auch sozialer und kultureller Natur verknüpfen, verbinden, verdichten und vervielfältigen, betonen sie den zentralen Entwurfsaspekt der Komposition als  wesentliche Form architektonischer Verknüpfung. Ob dabei Techniken der Collage oder des Samplings, des Stapelns oder des Überlagerns zum Einsatz kommen – die Komposition bildet als ästhetische Festlegung der architektonischen Form einen Entwurfsaspekt, der – vor (oder nach) Fragen nach Funktion und Atmosphäre – Zeiten und Nutzungszyklen und damit Produkt- und Lebenszyklen überdauern kann (Abb. 12). Was das Buch und die Auswahl von 12 mal 12 architektonischen Projekten als grundlegendes Anschauungsmaterial zur Verfügung stellt und in den Kapiteln als grundsätzliche Entwurfsdialoge bespricht, sind also nichts anderes als mögliche Entwicklungslinien im Entwerfen, die sich immer wieder produktiv und neu verbinden lassen.



[i] Elisabeth Bronfen / Benjamin Marius, Hybride Kulturen. Einleitung zur anglo-amerikanischen Multikulturalismusdebatte, in: Elisabeth Bronfen / Benjamin Marius / Therese Steffen (Hgg.), Hybride Kulturen. Beiträge zur anglo-amerikanischen Multikulturalismusdebatte, Tübingen: Stauffenburg 1997, 1–30, 14.

[ii] Vgl. Hans Blumenberg, Paradigmen zu einer Metaphorologie, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1998.

[iii] Nikolaus Pevsner, A History of Building Types, Princeton/NJ: Princeton University Press 1979, dt.: Funktion und Form. Die Geschichte der Bauwerke des Westens, Hamburg: Rogner & Bernhard bei Zweitausendeins 1998; Kenneth Frampton, Die Architektur der Moderne – Eine kritische Baugeschichte (erw. u. überarb. Fassung d. 8. Aufl.), München: DWA 2010; Jacques Lucan, Composition, Non-Composition: Architecture and Theory in the Nineteenth and Twentieth Centure, London: Routledge 2012.

[iv] Rem Koolhaas, Revision – Study for the Renovation of a Panopticon Prison, in: OMA / Rem Koolhaas / Bruce Mau, S, M, L, XL, New York: Monacelli Press 1995, 235–253, 239.

[v] Vgl. Georges Teyssot, A Topology of Everday Constellations, Cambridge/MA, London: MIT Press 2013, 31-82, 69.

[vi] Irénée Scalbert, Der Architekt als Bricoleur, in: Candide. Journal for Architectural Knowledge 4 (7/2011), 69-88, 86.








ARCHITEKT ANDREAS LECHNER
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